Solidarität

Dramatische Lage verschärft sich

Dr. Pius Adiele, Pfarrer in St. Peter und Paul in Lauchheim (Dekanat Ostalb), berichtet aus seinem Heimatland Nigeria: über einen der blutigsten Konflikte, von dem die Welt aber kaum Notiz nimmt.

Covid-19 ist nur eines von vielen Problemen in Nigeria. Dr. Pius Adiele, stellvertretender Dekan des Dekanats Ostalb, berichtet aus seinem Heimatland.

Desolate Gesundheitssysteme, Armut, Terror und ein hohes Maß an Korruption plagen das mit 200 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichste Land Afrikas. Seit dem Ausbruch der Pandemie und dem Lockdown haben sich die dramatischen Lebensverhältnisse dort noch verschärft. Die Bestimmungen von Ausgangssperren und Kontaktverboten geben noch mehr Nährboden für Kriminalität und bestialische Verbrechen. Mitte Juni sorgte der Tod einer jungen Studentin durch Vergewaltigung in einer Kirche für großes Aufsehen. Von Angst und Armut geschürt, wächst auch zunehmend der Einfluss von Terrorgruppen. Sie zwingen etwa 2,6 Millionen Nigerianer innerhalb ihres Heimatlandes auf die Flucht.

Herr Pfarrer Adiele, wie schätzen Sie die momentane Lage in Ihrem Heimatland ein?

Es ist dramatisch. Innerhalb von drei Wochen gab es 700 Vergewaltigungen. Die Brutalität der Verbrechen und jene, die mit der die Islamisierung des Landes vorangetrieben werden, ist nicht fassbar. Ich habe furchtbare Angst um meine Familie, die im Südosten von Nigeria lebt.

Woher kommt diese hohe Kriminalität und warum können sich die Menschen nicht schützen?

Hauptgrund ist die korrupte Regierung. Präsident Muhammadu Buhari kam bereits 2015 in einer nicht-demokratischen Wahl an die Spitze, 2019 konnte er sich auf die gleiche Art und Weise, durch Korruption und Bestechung, das Amt erschleichen. Buhari ist ein radikaler Islamist, der alles dafür tut, das ganze Land zu islamisieren. Deshalb lässt man die so genannten „Fulani-Herdsmen“ (Nomaden) einfach gewähren. Sie durchkämmen das Land mit ihren Viehherden, die den Farmern die Äcker zertrampeln und die Ernte zerstören. Das schlimmste daran ist, dass dieses Herdsmen schwer bewaffnet sind mit Kalaschnikows. Auf brutale Art und Weise werden die Einwohner in ihren Häusern abgeschlachtet und können sich nicht verteidigen, weil sie keine Waffen besitzen dürfen. Seit dem Beginn des Corona-Lockdowns sind diese Verbrechen noch leichter auszuführen, weil die Menschen daheim in ihren Häusern und Hütten sitzen.

Welche Auswirkungen hat Corona in Nigeria außerdem noch?

Die Reichen belegen die wenigen Betten in den Krankenhäusern. Abstandsregeln und Infektionsschutz einzuhalten, das ist in den Millionenstädten Abuja und Lagos schlichtweg nicht möglich. Die Menschen sind auf jede noch so kleine Einnahmequelle angewiesen. Bereits jetzt leben geschätzt 80 Prozent der Nigerianer unterhalb der Armutsgrenze. Corona wird diesen Anteil noch weiter ansteigen lassen. Die Tatsache, dass knapp drei Millionen Nigerianer im Land auf der Flucht sind, spielt dem Virus natürlich auch in die Karten. Überfüllte Flüchtlingscamps sind Nährböden dafür.

Was müsste als erstes passieren, dass das an Bodenschätzen und fruchtbarer Erde so reiche Land wieder Fuß fassen kann?

Wir brauchen eine demokratisch gewählte Regierung, die alle Religionen dort zulässt und endlich aufhört, die radikale Islamisierung durchzudrücken. In der Gegend, in der ich zu Hause bin, im Süd-Osten des Landes, gibt es die meisten Christen. Dort wird es den stärksten Widerstand geben. Es ist traurig und ich habe Angst. Ich bin in Gedanken oft dort.

Vertreibungskampf in Nigeria

Nach Einschätzung von Dr. John Eibner, Internationaler Präsident der Menschenrechtsorganisation "Christian Solidarity International" (CSI) sind Milizen aus dem Stamm der Fulani die Haupttriebkräfte der religiösen Gewalt in Zentralnigeria, die immer mehr auch in die südöstlichen Bundesstaaten reicht. "Die beträchtliche Zahl der Todesopfer und die großflächige Verwüstung, die von den Fulani-Terroristen verursacht werden, machen im Westen kaum Schlagzeilen." Dabei hält der Global Terrorism Index fest: "Die den Fulani-Extremisten zugeschriebenen Todesopfer sind gemäß Schätzungen allein im Jahr 2018 sechsmal so zahlreich wie die Todesopfer von Boko Haram." Die Terrorgruppe Boko Haram ist vor allem im muslimisch geprägten Norden Nigerias aktiv. "Die Übergriffe der Fulani auf Dörfer, die Zerstörung von Ernten und Entführungen richten sich tendenziell gegen christliche und traditionalistische Dorfbewohner mit dem Ziel, sie von ihrem Land zu vertreiben und es zu besetzen", schreibt Eibner. "Diese islamistischen Fulani-Milizen üben ihre Gewalt in der Regel ungestraft aus. Die von Amerika und Großbritannien unterstützte nigerianische Armee – die grösste in Afrika und zudem ein wichtiger Teilnehmer an vielen internationalen Friedensmissionen – ist unfähig oder nicht willens, den Fulani-Milizen entgegenzutreten. Auch wenn sie in den westlichen Medien kaum vorkommen: Die Fulani-Milizen gehören zu den tödlichsten Terrorgruppen weltweit."

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