Ist es heute noch vernünftig zu glauben?

Dr. Aaron Langenfeld, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Katholische Theologie der Universität Paderborn und Referent zum Thema Glaube und Vernunft.

Ob der Glaube in der Krise steckt und die Kirche heute noch eine Chance hat, darüber spricht Dr. Aaron Langenfeld im Interview.

Über 80 Zuhörerinnen und Zuhörer folgten am 5. November der Argumentation von Dr. Aaron Langenfeld zu Glaube und Vernunft. Eingeladen hatte die Akademie der Diözese zusammen mit dem Religionspädagogischen Institut in Weingarten. Regionalredakteur Markus Waggershauser hat den Paderborner Theologen zum Thema seines Vortrags befragt.

"Ich glaube nicht, ich halte mich lieber an Fakten!“ Herr Dr. Langenfeld, was würden Sie jemandem entgegnen, der das zu Ihnen sagt?

In postfaktischen Zeiten ist es ja erst einmal gar nicht schlecht sich an Fakten zu halten. Problematisch ist es nur, wenn man Fakten für selbstverständliche Tatsachen hält, die nicht mehr gedeutet werden müssen. Wie man aber beispielsweise die klimabezogenen Fakten deutet, ob man sie entweder als Aufruf zu gemeinschaftlichem Handeln begreift oder aber resigniert abwinkt, hat etwas mit Überzeugungen zu tun, 'in denen' wir Fakten verstehen.

Wie meinen Sie das?

Obwohl diese Überzeugungen selbst nicht den Status eines Faktums haben, sondern oft ganz diffus sind, halten wir sie nicht zwingend für unvernünftig, sondern versuchen, wenn wir gefragt werden, sie nachvollziehbar zu begründen. Das Spiel des Begründens setzt aber gar nicht alleine auf Fakten, sondern viel allgemeiner auf argumentative und praktische Nachvollziehbarkeit.

Man darf sich also an Fakten halten?

Ja - nur der Umkehrschluss, dass der Glaube nichts vernünftig Nachvollziehbares wäre, ist falsch. Umgekehrt ist der Glaube eben in der Pflicht, seine Nachvollziehbarkeit darzulegen. Sonst gibt im wahrsten Sinne des Wortes keine Gründe mehr, ihn als vertrauenswürdig zu begreifen.

Für manchen Christen ist sein Glaube ein unhinterfragbares Mysterium, für andere lassen sich die christlichen Grundsätze logisch aus der Natur ableiten. Ist Glaube vernünftig?

Natürlich ist er vernünftig! Selbst diejenigen, die den Glauben für ein der Vernunft unzugängliches Terrain halten, sprechen dem Glauben unbewusst ein geschlossenes System zu. Eines, das in sich schon vernünftig ist, aber eben nicht kompatibel mit meinetwegen der säkularen mathematischen oder naturwissenschaftlichen Rationalität.

Ist das eine hilfreiche Sichtweise?

Ich halte das für wenig hilfreich, weil man sich ja auch als Christ der erdrückenden Beweislast der Wissenschaften nicht entziehen kann. Ich gehe an dieser Stelle gerne auf die jesuitische Tradition zurück und versuche den Glauben als etwas zu verstehen, das nicht an der Welt vorbei, sondern in der Welt passiert. Daraus folgt nämlich nicht nur, dass ich die Glaubenssätze in einer Weise formulieren muss, die in der Welt verstanden werden können, sondern auch, dass ich von der Welt neu lernen kann, was ich überhaupt vernünftig vom Glauben sagen kann.

Bei Glaubenssätzen kommt ja die Institution ins Spiel. Gott ja, Kirche nein - gilt das noch?

Ich nehme da widersprüchliche Tendenzen wahr. Grundsätzlich ist es aber in der sogenannten westlichen Welt unwahrscheinlich, dass bei einer fortschreitenden Schrumpfung der großen Kirchen ein Möglichkeitssinn für den Glauben in gleicher Weise gegeben sein wird, wie das heute noch der Fall sein mag.

Das heißt, die katholische Welt ist im Moment noch in Ordnung?

Auch gegenwärtig ist an Schulen und Universitäten bereits ein massiver Traditionsabbruch selbst bei praktizierenden Katholik*innen zu bemerken. Das ist für die katholische Identität zunächst natürlich äußerst schmerzhaft, weil vieles verloren geht, das vielen lieb und wichtig ist.

Steckt darin nicht auch eine Chance?

Natürlich. Eine enorme Chance, die Vielfalt der Tradition zu entdecken und immer wieder neu zu erproben. So ergibt sich gewissermaßen im Innenraum der Kirche auch eine neue Chance für den Glauben.

Muss man also doch schon von einer Glaubenskrise sprechen?

Was die Kirche angeht, sehe ich eigentlich keine Glaubens-, sondern eine Rationalitätskrise. Die Kluft zwischen Glauben und Wissen wird heute oft ganz selbstverständlich als unüberbrückbar angesehen. Viele gläubige Menschen, die mir in Vorlesungen und bei Vorträgen begegnen, leiden regelrecht unter der scheinbaren Unvereinbarkeit der beiden Weltbilder, in denen sie jeweils mit einem Fuß stehen.

Was kann die Kirche dagegen tun?

Kirchlicherseits wäre das Bewusstsein noch stärker gefordert, dass eine effektive Kommunikation des Glaubens gegenwärtig nur gelingen kann, wenn deutlich wird, dass Glauben gerade heißt, mit beiden Beinen in der Welt zu stehen. Das schließt ein kritisch-konstruktives Verhältnis zur 'säkularen Vernunft' eben ein.

Wo sehen Sie denn ganz persönlich Chancen für Glaube und Kirche in der heutigen Zeit?

Ein Anfang könnte wohl darin bestehen, dass die Christ*innen selbst den Glauben als wirkliche Option in der Vielfalt gegenwärtiger Weltdeutungen begreifen. Das verpflichtet sie sowohl auf ihre eigene Tradition als auch auf die Gegenwart, in der sie leben. Der würdigende Blick auf das, was in diesen beiden Dimensionen gegeben ist, wäre der erste Schritt, um aus einem defensiven Reaktionsmodus neu zu einer eigenen Sprachfähigkeit zu gelangen.

Person

Dr. Aaron Langenfeld ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Katholische Theologie der Universität Paderborn und Geschäftsführer des Zentrums für Komparative Theologie und Kulturwissenschaften. Der 34-jährige Familienvater studierte in Köln und Paderborn Katholischen Theologie, Germanistik und Philosophie und ist in diesen Themenbereichen ein gefragter Referent.

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